Kopftuch und so

 https://mentalsidekicks.wordpress.com/2015/03/29/kopftuch_und_so/

Eine gewisse Kübra Gümüsay (schreibt auf FB und sonstwo, einfach googeln) hat auf der ZEIT eine, in ihren Augen, geharnischte Replik auf Radisch und Schwarzer zum Thema Kopftuch geschrieben, die natürlich ihrerseits auch nicht unbeantwortet bleiben kann:

Find‘ ich gut, dass junge Frauen mit islamischem Hintergrund sich involvieren und Debattenbeiträge liefern. Frau Gümüsay ist offensichtlich hier geboren, german native speaker und auch sonst „selbstbewusst“ – kein Grund also, sie irgendwie paternalistisch und gönnerhaft zu behandeln, sondern sie, wie jeden anderen Erwachsenen auch, ernst zu nehmen. Nun denn: Die „Kopftuchfrage“ ist keine konstruierte Scheindebatte, vielmehr spiegelt die Medienrezeption schlicht die Haltung der Bürger wider. Es ist also nicht nur legitim, sondern sogar notwendig, dazu Stellung zu beziehen. Mir konnte noch nie jemand den Widerspruch erklären, warum dieses angeblich unwichtige Stück Stoff, das man wegen geringer Relevanz  verfassungsrechtlich also getrost durchwinken könne, dann für viele Moslems so offensichtlich existentielle Bedeutung hat .   Nebenbei werden hier zwei  Verständnisprobleme bzgl. des Rechtsstaats  deutlich: 1) Recht gilt unabhängig davon, ob ein oder tausend Fälle davon betroffen sind. 2) Die Verfassungsrichter waren sich nicht einig, zwei Richter haben mit guten Gründen dagegen gestimmt. Dieses Urteil gilt bis zum Widerruf bzw. Revision, ist also kein göttliches Rechtsgutachten mit Absolutheitsanspruch und beweist: Nichts.

Die behaupteten spirituellen Gründe für das Kopftuch würde ich gerne exakt theologisch nachvollziehen, denn nur so könnte es, als elementarer Bestandteil einer Religion im Sinne von Religionsfreiheit andere Rechtsgüter (weltanschauliche Unabhängigkeit von Schulen etc.) überstimmen und selbst dann gibt es sehr gute laizistische und juristische (Gleichbehandlung!) Argumente , keinerlei religiösen Bekenntnisse im Staatsdienst zuzulassen. Unabhängig davon: Wenn dieser Nachweis nicht gelingt, muss ich davon ausgehen, dass andere Gründe vorliegen, nämlich Abgrenzung, Scheiden der Reinen von den Unreinen, Selbstüberhöhung, kultureller Hochmut sowie, dass das provozierte (und gerechtfertigte) Unbehagen über das Kopftuch die Gemeinschaft der Rechtgläubigen zusammenschweißen und die Glaubensfestigkeit stärken soll.

Es bleibt allerdings die Frage, warum der Glaube solche Hilfsmittel nötig hat. Ist er so schwach? Traut er sich selber nicht so recht?

So viel zu den Gründen der Frau. Zu den Gründen der Männer, des politischen Verbandsislam überhaupt, der ja diese Musterklagen finanziert: Kein Wort. Kein Wort zur Programmatik des Kopftuchs als Feldzeichen des politischen Islams. Kein Wort dazu, dass es vor 40 Jahren so gut wie keine Kopftücher gab. Nicht im Westen, nicht in den Metropolen des Orients. Haben die Moslems ihren Glauben damals weniger ernst genommen? Wird mit dieser zunehmenden Durchdringung des Religiösen in den Alltag, in alle Ritzen des Lebens und der Persönlichkeit, nicht Freiheit genommen, werden damit nicht Entscheidungsoptionen verringert, Lebensentwürfe vorgegeben? Gümüsay stellt sich diese Fragen nicht, stattdessen wird Emanzipation nur behauptet – ein Begriffs-Mimikry, das die eigentliche Bedeutung auf den Kopf stellt. Was sich hier Emanzipation nennt, ist narzisstische Selbstbespiegelung als Opfer und daraus abgeleitete Dreistigkeit in Auftreten und Forderungen. Zugegeben, man macht ihnen das auch leicht: Den Einflüsterungen aus dem selbsthassenden und kulturrelativistischen Teil einer einstmals Linken wird nur zu gerne geglaubt.

Eine selbstbewusste  Haltung wird eben nicht dadurch deutlich, daß man scheinbar freiwillig (oder sich selbst eingeredet -> Stockholm-Syndrom) in die Richtung geht, die der politische Islam und die eigene Community vorgibt, sondern Unabhängigkeit wird erst im Widerspruch erkennbar und zwar nicht gegen die Mehrheitsgesellschaft, mit der die Autorin so erkennbar ihre Schwierigkeiten hat, sondern gegen das „Eigene“. Emanzipation bedeutet zuerst, sich selbst bzw. eigene Abhängigkeiten zu reflektieren – gegen den äußeren Feind (zu dem Gümüsay ja offensichtlich Teile des Westens zählt) zu sein ist leicht. Das frivole Kokettieren mit dem Kopftuch als einem Distinktionsmerkmal einer kleinen, akademisch gebildeten (oder was man heutzutage dafür hält) Minderheit leistet einer Mehrheit an Mädchen und Frauen, die diese Wahlfreiheit viel weniger haben, einen Bärendienst. Es stellt sich erstens die Frage, ob dieser jeuness doree überhaupt bewusst ist, daß sie an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt  und zweitens, ob man diese Haltung nicht auch ein wenig undankbar finden könnte: Undankbar gegenüber einem System und einer Gesellschaft, die jedem alle Chancen bietet. (Höre ich da höhnisches, selbstgerechtes Lachen ?)

Und wenn wir schon bei Emanzipation sind: Letztlich geht es ja nicht (nur) um Frauenemanzipation, sondern um die des Menschen insgesamt. Man nennt das Aufklärung: Die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Das beinhaltet auch Zumutungen und Anstrengungen. Davor zu kapitulieren, sich in einer einer Art Regression in das Schneckenhaus einer alles erklärenden und alles regelnden Ideologie (genau das bedeutet nämlich diese Art von Islam) zurückziehen zu wollen, ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod, ist Feigheit vor dem Leben und  vor der Welt.

Zuletzt: Die im Artikel behaupteten positiven oder ggf. neutralen Reaktionen auf das Kopftuch belegen: Nichts. Wer mit dem Kopftuch Schwierigkeiten hat, sagt es in aller Regel der Kopftuchträgerin nicht ins Gesicht, er hakt sie eben nur als „eine von denen“ ab – genauso also, wie es im Kern beabsichtigt ist.Das Kopftuch polarisiert gewollt, es stellt buchstäblich alles in einen religiösen Kontext, erzwingt in jeder Minute Stellungnahme, Auseinandersetzung, Respekt oder Ablehnung. Es markiert die „Eigenen“ und unterscheidet zwischen „Die“ und „Wir“. Es führt zurück auf längst überwunden geglaubtes Stammesdenken, es steht für das Gegenteil einer freien, gleichen und egalitären Gesellschaft – und das ist nicht gut so!

Eine unversöhnliche Schlussbemerkung: Daß Schulmädchen sich in einer ähnlichen Liga wie Radisch oder Schwarzer wähnen, ist schon ein wenig zum Fremdschämen.

Das war die zivile Variante, Pirincci-style wäre auch noch eine Möglichkeit gewesen.

3 Gedanken zu “Kopftuch und so

  1. Genau so ist es. Schade, dass die Hintergründe dieser Thematik den meisten immer noch nicht richtig klar sind. Da fällt schnell mal das Wort Toleranz, aber mit Toleranz hat es nichts zu tun, wenn eine Seite immer nur fordert und die andere nur nachgibt.

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  2. Frau Krause-Burger hat das heute – für alle, die es immer noch nicht begriffen haben – in der StZ schön zusammengefasst: Das aktuelle Kopftuchurteil bedeutet, dass Kruzifixe in Klassenzimmern grundsätzlich verboten, das Kopftuch aber grundsätzlich erlaubt ist.

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